Die Nachwehen einer schwierigen Geburt: Der 1. Geburtstag
Der erste Geburtstag ist der Übergang von der Baby- zur Kleinkindzeit. Doch dieser Tag ist nicht nur für unsere Kinder ein ganz besonderer. Auch für eine Mutter hat er eine große Bedeutung, immerhin jährt sich am ersten Geburtstag ihres Kindes auch die Geburt und der Beginn ihrer neuen Rolle als Mutter. Nach einer schwierigen Geburt bringt der Jahrestag vielleicht auch negative Emotionen und Ängste mit sich, von denen man eigentlich dachte, sie seien bereits abgeschlossen. So wird der erste Geburtstag nicht nur zu einem freudige Ereignis, sondern auch zur Belastung.
Der Jahrestag des Traumas
Es ist ein durchaus übliches Phänomen, dass die Jahrestage traumatischer Erlebnisse für Betroffene eine schwierige Zeit darstellen. Intensive körperliche und seelische Reaktionen auf das Erlebte tauchen auf, auch wenn die Auswirkungen des Traumas zwischendurch bereits weniger gravierend waren.
Bei einem Geburtstrauma spielen jedoch nicht nur die negativen Gefühle eine Rolle, immerhin handelt sich doch um den Geburtstag des eigenen Kindes und ist damit auch ein Grund zum Feiern. Diese emotionale Ambivalenz macht es betroffenen Frauen besonders schwer, über ihre wahren Gefühle zu sprechen. Sie erfahren wenig Verständnis für ihre Situation von ihrem Umfeld und fühlen sich in ihrem Schmerz und ihren Erfahrungen nicht ernst genommen. Meist ist das schon in den Tagen und Wochen nach der Geburt ein Problem, noch viel größer ist es am ersten Geburtstag.
Oft fallen Sätze wie: “Sei doch froh, dass es euch gut geht!” oder: “Das ist doch jetzt schon so lange her. Freu dich doch einfach!”
Ein Trauma hinterlässt jedoch tiefe Spuren und psychische Veränderungen, die mit positiven Gedanken nicht einfach beiseite gewischt werden können. Eine traumatische Erfahrung, die eine Traumafolgeerkrankung nach sich zieht, erfordert eine umfassende Behandlung und Therapie. Nur so kann das traumatische Erlebnis verarbeitet und integriert werden.
Studie zeigt Auswirkungen des Geburtstraumas ein Jahr später
Nur eine einzige Studie von Cheryl Tatano Beck beschäftigt sich mit der Frage, welche besonderen Herausforderungen und Themen auf traumatisierte Mütter rund um den ersten Geburtstag ihres Kindes zukommen. Dabei stellte sich heraus, dass dieser Tag tatsächlich zur großen Belastung werden kann.
Dabei geht es nicht nur um den eigentlichen Geburtstag, sondern auch um die Wochen und Monate davor, in denen bereits sorgenvolle Gedanken, Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle und Ängste vor dem bevorstehenden Geburtstag auftauchen können. Am Geburtstag selbst spielen vor allem bestimmte Uhrzeiten eine große Rolle: Die Zeit des Wehenbeginns, die genaue Geburtszeit oder auch der Zeitpunkt, an dem etwas anderes Entscheidendes passierte.
Wege finden, um den Tag gut zu überstehen
Betroffene Frauen finden unterschiedliche Wege, um den Geburtstag möglichst gut zu überstehen. Manchen hilft es, mit der engsten Familie zu verreisen, andere lenken sich mit einer großen Feier ab oder feiern einfach an einem ganz anderen Tag – am wichtigsten ist in jedem Fall das Verständnis und die Unterstützung des nahen Umfelds. Freunde, Partner und Verwandte sollten sich bewusst sein, dass die Mutter an diesem Tag noch einmal in Gedanken verstärkt bei den schwierigen Erlebnissen ist, eventuell mit Flashbacks zu kämpfen hat und damit vor einer großen emotionalen Herausforderung steht.
Erfahrungsberichte von Betroffenen
„Mein Sohn wird im Juni zwei Jahre alt. Seinen ersten Geburtstag verbrachten wir auf Elba. Ich wollte einfach nicht zu Hause sein und allen anderen vorspielen, ich sei eine glückliche Mama. Die Tage davor waren wirklich die Hölle. Eigentlich wollte ich bis zu seiner Geburtszeit um 1:31 Uhr wach bleiben, um alles noch einmal ganz bewusst zu erleben und zu diesem Zeitpunkt eine Kerze anzuzünden. Ich wollte mich an meinen Sohn kuscheln und damit vielleicht das Bonding, das mir bis heute so fehlt, nachholen.
Schlussendlich bin ich völlig verheult um 22:00 Uhr eingeschlafen. Das war auch in Ordnung, aber ich denke, mir hätte mein ursprünglicher Plan für die Verarbeitung gut getan. Der Geburtstag selbst war ganz erträglich, auch wenn ich mich ein wenig so fühlte wie am Tag seiner Geburt. Ausgelaugt, kraftlos und irgendwie wie erstarrt. „- Anna
„Unsere Maus ist im Dezember zwei Jahre alt geworden. Der erste Geburtstag war richtig schlimm, aber das hat sich auch schon vorher abgezeichnet. Also habe ich dafür gesorgt, dass ich nicht allein bin und überhaupt keine Zeit zum Abstürzen habe, da ich damals noch an Depressionen litt. Wir haben eine richtige Kindergeburtstagsparty mit der Großfamilie meines Mannes und sämtlichen Cousinen und Cousins gefeiert. Ich konnte mich hinter dem Waffeleisen vergraben und im Akkord Essen für alle machen. So habe ich diesen Tag irgendwie überlebt.“ – Anonym
Meinem Partner war bewusst, wie schwierig dieser Tag für mich war. Es hat ihn ebenso belastet und tut es auch heute noch. Er war während der ganzen Zeit bei mir und musste auch immer wieder weinen. Irgendwann sagte er: “Ich kann nur zusehen, wie du leidest. Ich würde dir so gern mehr helfen!” Aber allein seine Anwesenheit und sein Verständnis haben mir schon so geholfen. Das habe ich ihm später auch genau so gesagt. – Silke
Jedes Jahr wird leichter
Für die meisten Mütter sind die nachfolgenden Geburtstage weniger problematisch, weil sie die schwierigen Geburtserfahrungen mit der Zeit verarbeiten und diesen Prozess eventuell auch mit einer Psychotherapie unterstützen. Statt der schlimmen Erinnerungen rücken die Freude und Liebe zum Kind in den Vordergrund.
„Der zweite Geburtstag war besser. Wir gestalteten den Tag zwar wieder sehr ähnlich – wieder mit der ganzen Familie, wieder mit Waffeln – aber ich konnte auf ein weiteres Jahr der Verarbeitung zurückblicken und verstand nun auch, an welchen Stellen es während der Geburt anders hätte laufen müssen. Schwierig war nur die Zeit davor, aber auch nicht so wie im Jahr davor. Ich denke, am dritten Geburtstag wird nur mehr ein bisschen Wehmut mitschwingen.“ Anonym
„Der zweite Geburtstag war schon nicht mehr wirklich von den Ereignissen während der Geburt überschattet. Es ist der Ehrentag meines Kindes und ich bin unendlich dankbar, dass dieses wundervolle Geschöpf die kostbarsten Jahres seines Lebens mit uns teilt.“ Anonym
Strategien für den ersten Geburtstag nach einer schwierigen Geburt
Gefühle und Gedanken akzeptieren
Ein schwieriges oder gar traumatisches Ereignis zu verarbeiten, dauert seine Zeit. Ein Jahr ist dafür ein sehr kurzer Zeitraum und gerade der erste Jahrestag eines einschneidenden Erlebnisses bringt immer viele Emotionen mit sich.
Auch wenn der Geburtstag des eigenen Kindes ein freudiges Ereignis ist, ist es ganz normal nach einem noch nicht ganz verarbeiteten schwierigen Erlebnis, zwiegespaltene Emotionen zu empfinden. Manchmal hilft es auch, alles aufzuschreiben oder dem Kind zu seinem Ehrentag einen Brief zu schreiben, den es später einmal bekommt.
Selbstfürsorge
Auch wenn das unmittelbare Umfeld kein oder nur wenig Verständnis für diese emotionale Belastung aufbringt, sollte man sich selbst als Betroffene ernst nehmen. Man kann den Geburtstag nutzen, um sich selbst Anerkennung zu schenken. Dafür, dass man eine traumatische Geburt überstanden und dieses erste Jahr mit einem Baby gut geschafft hat.
Vielleicht gibt es eine Gelegenheit, an der man sich selbst etwas Gutes tun kann und Zeit für sich hat – auch wenn es nur ein paar Minuten sind.
Sich jemandem anvertrauen
Es ist wichtig, mit jemandem offen und ehrlich über alle Gefühle sprechen zu können. Im Idealfall ist das natürlich der Partner, der die Geschehnisse während der Geburt ebenfalls miterlebt hat. Aber auch eine andere nahestehende Person oder eine Psychotherapeutin kann das nötige offene Ohr bieten.
Ein Geburtstrauma kann schwerwiegende Traumafolgeerkrankungen verursachen, die eine psychotherapeutischen Begleitung erfordern. Wenn Sie merken, dass Sie sehr unter den Auswirkungen des Geburtserlebnisses leiden, nehmen Sie bitte professionelle Hilfe in Anspruch.
Literatur:
Beck, C., Watson, J. & Watson, S. (2013). Traumatic Childbirth. London and New York: Routledge.